49. Tagung des Menschenrechtsrates

28. Februar - 1. April 2022

Item 3: Interaktiver Dialog mit der Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte

8. März 2022

Von Amal Bushara / GICJ 

Übersetzt von Gian Heimann

Zusammenfassung

Am 8. März führte der UN-Menschenrechtsrat (HRC) einen interaktiven Dialog mit der Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, Alexandra Xanthaki. In ihrer Eröffnungsrede sprach Frau Xanthaki über die Bedeutung der Kulturen für die Entwicklung des Individuums und der Gesellschaft sowie für die Verwirklichung aller Menschenrechte. Sie erläuterte ihre Ziele für ihr Mandat, darunter die Sensibilisierung und Förderung der kulturellen Rechte und Freiheiten von Künstlern mit Migrationshintergrund, schwulen, bisexuellen, transgender, intersexuellen und behinderten Künstlern sowie der kulturellen Rechte von Randgruppen. In Bezug auf die anhaltende russische Aggression in der Ukraine sagte Frau Xanthaki, dass jede Rechtfertigung eines Krieges von einer Rhetorik Abstand nehmen muss, die die kulturelle Identität und Geschichte einer Nation leugnet, da dies wichtige Elemente des Rechts auf Selbstbestimmung seien. Die Sonderberichterstatterin wiederholte den gemeinsamen Aufruf aller Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Während des interaktiven Dialogs betonten die Redner die Wichtigkeit der Förderung kultureller Rechte durch die umfassende Beteiligung von Personen in prekären Situationen. Zahlreiche Staaten betonten das Recht auf freie künstlerische Meinungsäusserung, einschliesslich der Möglichkeit, Meinungen und Überzeugungen durch Kunst in allen Medienformen auszudrücken. Die Vertreter der Staaten wiesen darauf hin, dass in vielen Ländern Kulturschaffenden das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Leben verweigert werde und dass unter anderem Blasphemiegesetze dazu benutzt würden, künstlerische Äusserungen zu unterbinden. Vor allem Frauen, Kulturschaffende und ethnische Minderheiten litten unter der Einschränkung ihres Rechts auf künstlerischen Ausdruck. Ägypten kam zu dem Schluss, dass die Kultur eine “soft power”  darstelle und befreit werden müsse, um die kulturelle und zivilisatorische Identität wahren zu können. 

Hintergrund

Das Mandat im Bereich der kulturellen Rechte ist Teil der Sonderverfahren des Menschenrechtsrats, das 2009 erstmals eingerichtet wurde. Der Umfang der Amtszeit ist in der Resolution 10/23 des Menschenrechtsrats festgelegt. Die Resolution legt auch die Konturen des rechtlichen Rahmens fest, den der Sonderberichterstatter zu nutzen hat. Im Mittelpunkt dieses rechtlichen Rahmens steht Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in dem anerkannt wird, dass jeder Mensch das Recht hat, frei am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und an den wissenschaftlichen Fortschritten und deren Vorteilen teilzuhaben. Das Mandat des Sonderberichterstatters wird auch durch Artikel 15 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gestützt, der die Vertragsparteien dieser Konvention rechtsverbindlich verpflichtet, das Recht eines jeden anzuerkennen: “(a) am kulturellen Leben teilzunehmen; und (b) an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben.” Diese Bestimmungen in Verbindung mit anderen Menschenrechtsinstrumenten sind wesentlich für das Verständnis der umfassenden Verantwortung, die der Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte übertragen wurde und welche die Verwirklichung der materiellen Gleichheit bei der Ausübung der kulturellen Rechte einschliesst. Die Arbeit der Sonderberichterstatterin wird von Artikel 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte geleitet, in dem die Vertragsstaaten aufgefordert werden, dafür zu sorgen, dass Angehörigen von Minderheiten "nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen." 

Bericht

Am 31. Januar 2022 schloss Frau Xanthaki ihren ersten Bericht als Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte ab. Im Bericht A/HRC/49/54 wird der positive Charakter der Kultur für den Einzelnen hervorgehoben und das Engagement der Sonderberichterstatterin für eine enge Zusammenarbeit mit den Organen der Vereinten Nationen zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Freiheit, der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Lebens für alle Menschen betont. Frau Xanthaki betonte die Bedeutung bewährter Verfahren und stellte eine vorläufige Liste von Themen auf, die mehr Aufmerksamkeit verdienen. Sie erklärte, dass sie während ihres gesamten Mandats den Schutz der kulturellen Rechte in Bezug auf Denkmäler, Objekte und Stätten, auf die immaterielle Kultur sowie auf die natürliche Umwelt ansprechen wolle. 

Die Sonderberichterstatterin betonte, dass Kultur ein positiver Antrieb für die Verwirklichung der Menschenrechte ist. Die Anerkennung und der Schutz kultureller Rechte werden als Mittel zur Bestätigung der eigenen Identität und letztlich als Mittel zur Ermächtigung beschrieben. Greifbare Manifestationen der Kultur werden in dem Bericht als ein wesentlicher Faktor des Rechts auf kulturelles Leben genannt. Diese Auffassung wurde vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) im Jahr 2006 erheblich gestärkt, nachdem jemand für schuldig gesprochen wurde, durch die Zerstörung eines kulturellen Erbes ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. In ihrem Bericht brachte die Sonderberichterstatterin ihre Absicht zum Ausdruck, die Arbeit zur Erhaltung von Kultur- und Gedenkgefässe fortzusetzen, um elitäre und tendenziöse Geschichtsdarstellungen zu beseitigen.  

Frau Xanthaki drückte auch ihr Engagement aus, die Vorteile des Schutzes von Rechten auf immaterielle Kultur, einschliesslich der Rechte auf Äusserung, kulturelle Praktiken, Werte, Ansichten, Bräuche und Traditionen weiter zu erforschen, da deren Manifestationen für das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft geschützt werden müssen. In dem Bericht wird zwischen immaterieller Kultur und traditionellen Werten unterschieden, die von Eliten, insbesondere von männerdominierten Eliten, fälschlicherweise oft gleichgesetzt worden seien.   

Zuletzt betonte die Sonderberichterstatterin ihr Engagement, die Beziehung zwischen der Vielfalt in der Natur, Umwelt und kulturellen Rechten weiter zu vertiefen, da die Erhaltung der natürlichen Umwelt ein wesentliches Element für die Bewahrung der Kultur sei. Um dieses und alle anderen Anliegen anzugehen, forderte der Bericht alle Beteiligten auf, sich an dem laufenden Diskurs über die Förderung kultureller Rechte zu beteiligen und dazu beizutragen, dass die Gesellschaft bei Verletzungen von Rechten widerstandsfähiger wird. 

Im Rahmen des interaktiven Dialogs wurden die Redner aufgefordert, sich zu der im Bericht dargelegten Agenda und den Arbeitsmethoden zu äussern und auf die Besonderheiten des kulturellen Lebens in ihren eigenen Staaten einzugehen. Die Sonderberichterstatter regte an, bewährte Praktiken zur Erreichung der für diese Amtszeit festgelegten Ziele zu empfehlen.  Im Grunde genommen ermöglichte der interaktive Dialog den Staaten, den Bericht des Sonderberichterstatters aus ihrer eigenen nationalen Perspektive zu erläutern.

Interaktiver Dialog mit der Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte

Alexandra Xinthaki, Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, begann ihre Eröffnungsrede mit der Feststellung, dass alle Augen auf die Ukraine gerichtet seien, während die russische Aggression weiter anhalte. Frau Xinthaki rief dazu auf, bei allen militärischen Aktionen das vielfältige kulturelle und religiöse Erbe der Ukraine zu berücksichtigen und die vollständige und vielschichtige Identität des Staates anzuerkennen. Sie forderte die Staaten auf, diejenigen, die vor dem Krieg fliehen, ohne Diskriminierung aufzunehmen und zu akzeptieren und den Verlust des kulturellen Lebens zu verhindern, während sie sich auf die Aufnahme einer noch nie dagewesenen Zahl von Flüchtlingen vorbereiten. Frau Xanthaki appellierte auch an die internationale Gemeinschaft, die kulturelle Identität der russischen Bürger anzuerkennen und nicht zu schmälern, da ihre Kultur im Zuge der grundlosen Aggression in der Ukraine politisiert wird. Sie präsentierte die verschiedenen Ziele ihres Mandats, zu denen die Förderung der kulturellen Rechte von Migranten und gefährdeten Personen sowie der Schutz der verschiedenen materiellen und immateriellen Erscheinungsformen der Kultur gehören, da sie alle wichtige Bestandteile des kulturellen Lebens seien. Darüber hinaus forderte sie alle Beteiligten und Akteure auf, sich zu melden und bewährte Verfahren und Ratschläge zur Förderung des Rechts auf kulturelle und verwandte Rechte auszutauschen. 

Der hohe Vertreter der Europäischen Union begrüsste den Bericht von Frau Xinthaki. Er brachte das Engagement der EU für die Stärkung des Rechts auf Kultur zum Ausdruck und hob die Massnahmen hervor, die von den regionalen Institutionen zur Förderung der kulturellen Rechte ergriffen wurden, einschliesslich der Massnahmen zur Einbeziehung von Personen in prekären Situationen in den Entscheidungsprozess. Eine solche Massnahme ist das Programm "Kreatives Europa", das darauf abzielt, die europäische Kultur, die sprachliche Vielfalt und das kulturelle Erbe zu schützen, zu fördern und weiterzuentwickeln, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Unterstützung von Frauen und sozial marginalisierten Gruppen liegt. Der Vertreter beendete seine Ausführungen mit der Frage an die Sonderberichterstatterin, ob sie in ihrem Mandat ein Potenzial für den Einsatz digitaler Technologien zur Förderung der kulturellen Rechte sehe. 

Der Delegierte Norwegens sprach im Namen der nordisch-baltischen Länder und erklärte, dass sie allen Menschenrechten grosse Bedeutung beimessen, einschliesslich des Rechts jedes Einzelnen auf Zugang zum und Teilnahme am kulturellen Leben ohne jegliche Diskriminierung. Die Delegation erklärte, dass das Recht auf freie künstlerische Meinungsäusserung das Recht einschliesse, Ideen und Meinungen durch die Kunst oder jedes andere Medium seiner Wahl auszudrücken.  Es wurde hervorgehoben, dass Künstler und Kulturschaffende in vielen Ländern Zensur, Diskriminierung und Strafverfolgung ausgesetzt sind und somit nicht in der Lage seien, ihr Recht auf künstlerischen Ausdruck und kulturelles Leben auszuüben. Künstlerinnen, Kulturschaffende und Minderheitengruppen seien aufgrund ihrer Arbeit in unverhältnismässig grausamer Behandlung wie Belästigung, Verfolgung und Inhaftierung ausgesetzt. Der Delegierte betonte, dass Kultur für alle Mitglieder der Gesellschaft ein wichtiger Aspekt des Lebens sei, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Sexualität oder ihrer Behinderung. Die Vertreterin beendete ihre Erklärung mit der Frage an den Sonderberichterstatter, wie das Recht auf Kultur für marginalisierte Personen und Gruppen gewährleistet werden könne.

Die ägyptische Delegierte begrüsste den Bericht von Frau Xinthaki und wünschte ihr viel Erfolg für ihr Mandat. In Bezug auf die Bedeutung der Kultur erklärte die Delegierte, dass die Kultur eine "soft power" darstelle und für die Aufrechterhaltung der nationalen Identität befreit werden müsse. Ägypten habe sich verpflichtet, das Niveau des kulturellen Genusses zu erhöhen, wie es in der ägyptischen Agenda 2030 festgelegt sei. 

Die Person, die im Namen Ägyptens sprach, fügte hinzu, dass die Pandemie zwar den Fortschritt in anderen Lebensbereichen behindere, aber nicht die Entwicklung des Rechts auf Kultur in Ägypten beeinträchtige. Ägypten habe während der Pandemie weiterhin Veranstaltungen aus der Ferne eröffnet und gefördert und damit die Reichweite dieser kreativen Ausdrucksformen auf Menschen ausgedehnt, die vor der Ermöglichung des Fernzugangs nicht die Mittel und Möglichkeiten zur Teilnahme gehabt hätten. Das Engagement Ägyptens für die Verteidigung und Aufrechterhaltung der kulturellen Freiheit durch die Verbreitung des Wertes und der Bedeutung der Sozialkultur wurde ebenfalls bekräftigt.

Die Vertreterin von Fidschi dankte der Sonderberichterstatterin für ihren Bericht und die im Rahmen des Mandats geleistete Arbeit, um die kulturellen Rechte durch die Erkenntnis ihrer Unteilbarkeit und Wechselbeziehung mit anderen Rechten zu verankern. Kulturelle Vielfalt wurde als eine der grössten Stärken Fidschis bezeichnet, da das Land anerkenne, dass der gemeinsame kulturelle Austausch zwischen den Menschen auf der ganzen Welt eine der besten Möglichkeiten ist, tieferes Verständnis und Harmonie zu fördern. Der Vertreter des Landes fügte hinzu, dass in Fidschi die Bewirtschaftung der Küstenressourcen wie Fischerei und Ökosysteme aus einem Governance-System bestehe, das die Kultur und Traditionen der Ureinwohner einbeziehe. Damit soll sichergestellt werden, dass diese Traditionen in den Mechanismen zum Schutz der Umwelt angemessen berücksichtigt werden. Die Praktiken, die auf die Vorfahren und Ahnen Fidschis zurückgehen, sollen die Erhaltung und Nachhaltigkeit unterstützen und fördern. Der Schwerpunkt wurde auf die Bekämpfung des Klimawandels gelegt, da dieser das kulturelle Erbe und die Identität Fidschis bereits stark beeinträchtigt habe. Der rapide Anstieg des Meeresspiegels habe die Küstengemeinden zur Umsiedlung gezwungen, wodurch die Verbindung der indigenen Gemeinschaften mit ihrem Land und die Verbindung, die ihre kulturelle Identität ausmacht, unterbrochen worden sei. Abschliessend wurden der Rat und die internationale Gemeinschaft aufgefordert, ihre Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels im Interesse der kulturellen und anderen Menschenrechte zu verstärken.

Position des Geneva International Centre for Justice

Das Geneva International Centre for Justice (GICJ) begrüsst die fruchtbaren und produktiven Erklärungen, in denen die Bedeutung kultureller Rechte für die Entwicklung von Gemeinschaften, Gesellschaften und anderen Menschenrechten, einschliesslich des Rechts auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung, hervorgehoben wurde. Die GICJ unterstützt alle Bemühungen der Staaten, kulturelle Gleichheit und Freiheit zu verwirklichen. Wir rufen alle Staaten auf, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen, das Recht auf Kultur zu schützen, unabhängig davon, ob es auf materielle oder immaterielle Art zum Ausdruck kommt. Dabei muss ein besonderes Augenmerk auf gefährdete Gruppen gelegt werden, die oft wegen ihrer Teilnahme am kulturellen Leben verfolgt werden.  Darüber hinaus fordern wir alle Staaten auf, mit der Sonderberichterstatterin während ihres Mandats zusammenzuarbeiten, und bekräftigen die Aufforderung von Frau Xinthanki an die Beteiligten, bewährte Verfahren und Verhaltensweisen zu empfehlen, die zur Verwirklichung der in ihrem Bericht dargelegten Ziele beitragen können. Zum Schluss wünscht das GICJ Alexandra Xanthaki viel Erfolg während ihrer Amtszeit und hofft auf eine enge Zusammenarbeit zwischen ihr und den Staaten bei der Lösung von Problemen, die das oft nicht greifbare, aber lebenswichtige Recht des Einzelnen auf kulturelle Freiheit betreffen. 


Read in English

Kulturelle Rechte, UNO, Kulturelles Leben, Selbstdarstellung, Menschenrechtsrat, 49. Tagung, Geneva4Justice, GICJ, Geneva International Centre For Justice, Justiz



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