50. Ordentliche Tagung des Menschenrechtsrates

13. Juni - 8. Juli 2022

PUNKT 3 - Interaktiver Dialog mit dem Sonderberichterstatter für aussergerichtlichen, summarischen oder willkürlichen Hinrichtungen

22. Juni 2022

Von Gian Heimann / GICJ

Übersetzt von Gian Heimann 

Übersicht

Auf der 15. Sitzung der 50. ordentlichen Tagung des Menschenrechtsrates wurde der Bericht von Morris Tidball-Binz, Sonderberichterstatter für aussergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen (A/HRC/50/34), im Rahmen eines Interaktiven Dialogs behandelt. Mit seinem Bericht legte Herr Tidball-Binz, der selbst Gerichtsmediziner ist, die Agenda für globale Standards für forensische Wissenschaften und Todesermittlungssysteme fest. Er erläuterte, dass die gerichtsmedizinische Untersuchung von Todesfällen mit geringen Investitionen bedeutende Ergebnisse für die Justiz und die öffentliche Gesundheit erzielen kann. Er warnte den Menschenrechtsrat jedoch auch, dass die Kapazitäten zur Durchführung solcher Untersuchungen derzeit weltweit unzureichend sind.

Der Bericht mit dem Titel "medico-legal death investigations" (A/HRC/50/34) enthält die Ergebnisse einer Studie des Sonderberichterstatters über den weltweiten Stand der forensischen Wissenschaft und der Todesermittlungssysteme. Der Bericht geht auf die Bedeutung der Pflicht zur Todesermittlung ein und stellt fest, dass das Versäumnis, eine ordnungsgemässe Untersuchung durchzuführen, an sich eine Verletzung des Rechts auf Leben darstellt. In dem Bericht werden globale Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten in diesem Bereich, wie z. B. die mangelnde Unabhängigkeit der Gerichtsmediziner und des Personals, aufgezeigt. Abschliessend enthält der Bericht klare und praktische Empfehlungen an die Staaten.

Während des Interaktiven Dialogs dankten viele Staaten dem Sonderberichterstatter für seinen Bericht und brachten zum Ausdruck, dass sie die Bedeutung internationaler Standards und best practices für die gerichtsmedizinische Untersuchung von Todesfällen anerkennen. Die Staaten nutzten auch die Gelegenheit, um auf Verletzungen des Rechts auf Leben in verschiedenen Regionen der Welt hinzuweisen. Andere tauschten nationale Erfahrungen mit der forensischen Wissenschaft und den Ermittlungssystemen bei der Aufarbeitung vergangener Gewalttaten, z. B. bei bewaffneten Konflikten, aus. Schliesslich verurteilten die NGOs zahlreiche Länder, die Praktiken aussergerichtlicher, summarischer oder willkürlicher Hinrichtungen kennen.

Geneva International Centre for Justice (GICJ) möchte dem Sonderberichterstatter für seinen Bericht danken und seine Bemühungen unterstützen, Mindeststandards und best practices für ein weltweites System zur gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen festzulegen. Wir sind zutiefst schockiert über die abscheulichen Praktiken der aussergerichtlichen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen. Diese sollten unter keinen Umständen ungestraft bleiben.

Hintergrund

Forensische Untersuchungen sind der Ausgangspunkt jeder Untersuchung eines potenziell unrechtmässigen Todes. Durch sie können die Staaten mit relativ geringen Investitionen bedeutende Ergebnisse bei der Förderung der Menschenrechte, der Justiz und der öffentlichen Gesundheit erzielen. Seit Mitte der 80er Jahre versuchten Menschenrechtsaktivisten deshalb Leitlinien zu erstellen, die praktische Hilfe bei der Untersuchung verdächtiger Todesfälle bieten. Später wurde ein medizinisches Protokoll von einer Gruppe von Rechts- und Gerichtsmedizinexperten erstellt, die vom Minnesota International Lawyers Committee for Human Rights (jetzt The Advocates for Human Rights) koordiniert wurde. 1991 nahmen die Vereinten Nationen das Minnesota-Protokoll mit dem offiziellen Titel "UN-Handbuch zur wirksamen Verhinderung von extralegalen, willkürlichen oder summarischen Hinrichtungen" an. Im Jahr 2016 leitete der ehemalige Sonderberichterstatter für aussergerichtliche, willkürliche oder summarische Hinrichtungen, Christof Heyns, dem der neueste Bericht gewidmet ist, in Zusammenarbeit mit dem Amt der Hohen Kommissarin für Menschenrechte (OHCHR) und dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) den Prozess der Überarbeitung des Minnesota-Protokolls.

Im April 2021 wurde Morris Tidball-Binz zum Berichterstatter für aussergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen ernannt. Mit seinem medizinischen Hintergrund und seiner Spezialisierung auf forensische Wissenschaften widmete er sich im ersten Jahr seines Mandats einer umfassenden Studie über die Herausforderungen, Probleme und Möglichkeiten, mit denen gerichtsmedizinische Todesermittlungssysteme in der ganzen Welt konfrontiert sind. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit der australischen Monash University durchgeführt, an welcher der Sonderberichterstatter als ausserordentlicher Professor tätig ist, und umfasste Befragungen von über 60 Leitern gerichtsmedizinischer Dienste und gerichtsmedizinischen Sachverständigen aus Ländern in der ganzen Welt. Weitere Konsultationen wurden mit regionalen Netzwerken von gerichtsmedizinischen Diensten sowie zwischenstaatlichen und internationalen Organisationen geführt. Die Ergebnisse der Studie wurden dem Menschenrechtsrat im ersten Bericht von Herrn Morris Tindball-Binz vorgelegt.

Bericht des Sonderberichterstatters für aussergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen

Der Bericht mit dem Titel "medico-legal death investigations" (A/HRC/50/34) stellt die Ergebnisse des Aufrufs des Sonderberichterstatters zur Einreichung von Beiträgen von Staaten und Vertretern der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft über den Kenntnisstand und die Umsetzung des Minnesota-Protokolls dar.  In dem Bericht geht er auf die Bedeutung der staatlichen Pflicht zur Todesermittlung ein, präsentiert die Strukturen der weltweiten gerichtsmedizinischen Todesermittlungssysteme, erörtert Mängel, Schwierigkeiten und best practices und formuliert Empfehlungen an die Staaten. Besorgniserregend ist hierbei, dass der Sonderberichterstatter der Ansicht ist, dass - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf globaler Ebene keine ausreichenden Kapazitäten für die Durchführung von Ermittlungen zu potenziell unrechtmässigen Todesfällen vorhanden sind.

Als erstes bekräftigt der Sonderberichterstatter die Feststellung des Menschenrechtsausschusses, dass die Pflicht zur Untersuchung möglicher Verletzungen des Rechts auf Leben implizit in der Verpflichtung zum Schutz des Lebens enthalten ist (CCPR/C/GC/36). Daher kann das Recht auf Leben nur dann als vollständig geschützt angesehen werden, wenn gründliche und wirksame Untersuchungen zu jeder Situation durchgeführt werden, in der es möglicherweise verletzt wurde. Folglich kommt er zu dem Schluss, dass das Versäumnis, eine ordnungsgemässe Untersuchung durchzuführen, eine Verletzung des Rechts auf Leben ist.

Dem Bericht zufolge unterscheiden sich die Systeme zur gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen auf der ganzen Welt vor allem durch die zuständige Stelle und die politische Institution, in die sie eingebettet sind. Sie können beispielsweise in öffentlichen Sondereinrichtungen, bei der Polizei, beim Militär, in Krankenhäusern, an Universitäten oder bei beauftragten privaten Dienstleistern angesiedelt sein und durch die Ministerien für Gesundheit, Justiz, Inneres oder Bildung beaufsichtigt werden. Der Ermessensspielraum der Ermittlungsbehörden bei der Entscheidung, ob eine Untersuchung durchgeführt werden soll, stellt eine grosse Herausforderung für die Struktur der Todesuntersuchungen dar: Wenn die Behörden über einen grossen Ermessensspielraum verfügen, kann sich das negativ auf die Pflicht auswirken, alle potenziell rechtswidrigen Todesfälle zu untersuchen.

In dem Bericht wird weiter die entscheidende Rolle der Gerichtsmediziner bei der Durchführung von gerichtsmedizinischen Todesuntersuchungen diskutiert. Die Untersuchungen sollten von Gerichtsmedizinern mit Fachkenntnissen in der Beurteilung von Verletzungen und anatomischer Pathologie durchgeführt werden. Es wird jedoch festgestellt, dass die Forschung und die postgraduale Ausbildung im Bereich der forensischen Wissenschaft, einschliesslich der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für Studenten und Praktiker, insgesamt sehr begrenzt sind. Generell haben Gerichtsmediziner selten den gleichen Status wie andere medizinische Fachkräfte, da sie fälschlicherweise als wenig hilfreich für die Rettung von Menschenleben angesehen werden.

In Bezug auf alle zuvor genannten Aspekte werden in dem Bericht verschiedene Mängel und Schwierigkeiten der gerichtsmedizinischen Todesermittlungssysteme bewertet, die von leitenden forensischen Akteuren in den geführten Interviews genannt wurden. Der schwerwiegendste Mangel bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen liegt in der mangelnden Unabhängigkeit. Die Untersuchungen können allein aufgrund der Organisationen, von denen sie finanziell getragen werden oder denen sie untergeordnet sind, wie z. B. der Polizei, beeinträchtigt werden.

Darüber hinaus sind die Systeme zur gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen oft schlecht finanziert. In vielen Städten und Regionen ausserhalb der Grossstädte gibt es keine angemessen ausgestatteten Systeme zur gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen. In vielen Ländern ist die Zahl der Gerichtsmediziner unzureichend. Die Rechtsvorschriften für die gerichtsmedizinische Untersuchung von Todesfällen sind oft unzureichend, um dem Minnesota-Protokoll zu entsprechen. Schriftliche Autopsieberichte werden unter Umständen nicht oder nicht in einer Qualität erstellt, die eine Überprüfung ermöglicht. In ressourcenarmen Gegenden fehlt es den Leichenhallen oft an wesentlichen Einrichtungen und Ressourcen wie Strom, fliessendem Wasser und einer funktionierenden Kühlung für die Leichen. Das Fehlen einer grundlegenden persönlichen Schutzausrüstung kann das Personal dem Risiko von Krankheiten und Infektionen aussetzen.

Was die politische Seite betrifft, so stellt der Bericht fest, dass Gerichtsmediziner oft schlecht bezahlt werden. In einigen Fällen, in denen die Identität des Verstorbenen nicht bekannt ist, wird der Tod nicht untersucht. Dies betrifft insbesondere Angehörige der ärmsten und am stärksten marginalisierten Gemeinschaften und Gruppen, darunter Flüchtlinge, Vertriebene und Migranten ohne Papiere. Mitunter sind Gerichtsmediziner nicht ausreichend geschützt und werden Opfer von Gewalt und Drohungen. Schliesslich haben nur sehr wenige gerichtsmedizinische Todesermittlungssysteme Sensibilisierungs- und Schulungsprogramme für ihr Personal in Bezug auf die Gender-Perspektive institutionalisiert.

Zum Schluss fasste der Sonderberichterstatter die Ergebnisse des Berichts zusammen und gab den Staaten klare und praktische Empfehlungen. Er bekräftigt, dass die Pflicht der Staaten, die Ursache und die Art und Weise eines möglicherweise unrechtmässigen Todes zu untersuchen, wie es das Minnesota-Protokoll vorschreibt, nämlich unverzüglich, gründlich, wirksam, unabhängig, unparteiisch und transparent, integraler Bestandteil des Rechts auf Leben ist. Darüber hinaus müssen die Staaten dafür sorgen, dass die gerichtsmedizinischen Untersuchungen von Todesfällen die Pflicht zur Identifizierung des Verstorbenen beinhalten. Deshalb dürfen nicht identifizierte Leichen nicht verbrannt oder in Massengräbern verscharrt werden. Gerichtsmediziner sollten auf geschlechtsspezifische Fragen, die sich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirken können, sensibilisiert sein. Die Staaten müssen die Sicherheit, den Schutz und die Gesundheit von Gerichtsmedizinern schützen und sicherstellen, dass sie Zugang zu angemessen ausgestatteten gerichtsmedizinischen Einrichtungen haben.

Interaktiver Dialog mit dem Sonderberichterstatter

Auf der 15. Sitzung der 50. ordentlichen Tagung des Menschenrechtsrates am 22. Juni 2022 führte der Sonderberichterstatter, Herr Tidball-Binz, einen Interaktiven Dialog über sein Mandat und seinen Bericht. Zu Beginn ging er auf den allgemeinen Stand seines Mandats ein und informierte den Menschenrechtsrat darüber, dass er während seiner Amtszeit eine Zunahme von aussergerichtlichen, summarischen und willkürlichen Tötungen festgestellt habe. Zahlreiche Fälle von gezielten Tötungen von Journalisten, Umweltaktivisten, politischen Dissidenten, Vertretern von Minderheitengruppen und von als unerwünscht angesehenen Personen seien zu verzeichnen. Er bedauerte, dass all dies mit einem hohen Mass an Straflosigkeit einhergeht. Der Sonderberichterstatter appellierte auch an die vielen Staaten, die immer noch die Todesstrafe in frappanter Verletzung des Völkerrechts anwenden. Daher sei es eine traurige Tatsache, dass sein Mandat heute noch genauso notwendig sei wie vor 40 Jahren.

Der Sonderberichterstatter ging dann auf das spezifische Thema seines Berichts ein. Er erklärte, dass das Mandat über summarische Hinrichtungen von Anfang an auf die Untersuchung von Todesfällen ausgerichtet war. Daher wurden spezifische Menschenrechtsstandards und Referenzhandbücher für die forensische Wissenschaft erstellt, wie das Minnesota-Protokoll, das weltweit als "Goldstandard" in der forensischen Wissenschaft angesehen werden kann. Herr Tidball-Binz wies den Menschenrechtsrat darauf hin, dass laut der Studie der derzeitige Zustand der forensischen und medizinisch-juristischen Dienste in der ganzen Welt sehr alarmierend sei. Zuletzt hob er die in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen hervor und betonte, dass deren Umsetzung relativ geringe Investitionen seitens der Staaten erfordern würde und den Schutz und die Förderung des Rechts eines jeden auf Leben erheblich verbessern könnte.

Während des interaktiven Dialogs teilte der Vertreter Armeniens seine Besorgnis über die fehlende Rechenschaftspflicht bei den aussergerichtlichen Tötungen in Berg-Karabach mit. Er wies erneut darauf hin, dass zahlreiche Tötungen von gefangenen Zivilisten, darunter auch Frauen und ältere Menschen, trotz eindeutiger Beweise nie untersucht worden seien. Der Vertreter erinnerte den Menschenrechtsrat daran, dass die Hochkommissarin für Menschenrechte darauf hingewiesen habe, dass die aussergerichtliche Hinrichtung von Armeniern durch die aserbaidschanischen Streitkräfte einem Kriegsverbrechen gleichkommen könnte, und dass Mandatsträger von Sonderverfahren mehrere Mitteilungen an Aserbaidschan gesandt hätten, darunter eine über aussergerichtliche Hinrichtungen von Armeniern. Er fragte den Sonderberichterstatter, wie unter diesen Umständen die Rechenschaftspflicht sichergestellt werden kann.

Der Vertreter Pakistans machte auf den Einsatz von summarischen Hinrichtungen durch Indien aufmerksam, um kaschmirische Dissidenten zum Schweigen zu bringen, die sich der illegalen demographischen Veränderung ihres Heimatlandes widersetzen. Er erklärte, dass das Fehlen von Ermittlungssystemen in Besatzungssituationen noch gravierender sei und prangerte an, dass Indien Kaschmiri als Terroristen abstemplet und damit die aussergerichtlichen Hinrichtungen von über 600 Kaschmiri in den letzten drei Jahren legitimiere.

Der Vertreter des Jemen wies auf die Angriffe der Houthis auf Oppositionelle und Journalisten hin. Er behauptete, dass die Milizen Todesurteile gegen jede Person vollstreckten, die es wagt, deren Verhalten und Aggression gegen die unschuldige jemenitische Bevölkerung zu kritisieren. Der Vertreter bat den Sonderberichterstatter, auf diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, sie zu dokumentieren und Gerechtigkeit für die Opfer der Houthi-Milizen zu suchen.

Die Vertreterin Palästinas hob einen zentralen Punkt des Berichts hervor: Das Versäumnis, Todesfälle ordnungsgemäss zu untersuchen, entwertet das Leben. Sie fuhr weiter, Israel zu beschuldigen, der einzige Staat in der modernen Geschichte zu sein, der alle Mittel zur Untersuchung von palästinensischen Todesfällen behindere und damit die Bedeutung des palästinensischen Lebens negiere. Sie verurteilte auch, dass Israel seine schockierende Politik der summarischen Hinrichtung palästinensischer Zivilisten fortsetze. Die Vertreterin erklärte, dass Israel im Laufe der Jahre zahlreiche Untersuchungen zu den Tötungen von Palästinensern eingeleitet habe. In den meisten dieser Fälle seien die Ermittlungen aber eingestellt, Scheinprozesse abgehalten oder Entscheidungen getroffen worden, die die Schwere der Verletzungen oder Verbrechen nicht anerkennen. Der Vertreter Israels reagierte später auf diese Anschuldigungen, indem er sein Recht auf Antwort wahrnahm. Er bestritt, dass Israel Ermittlungen behindere oder jemanden zum Tode verurteile. Im Gegenteil, er erklärte, Israel sei eine Demokratie und beschuldige die Hamas, gegnerische Gruppen in Palästina und palästinensische Zivilisten, darunter auch queere Menschen, die gezwungen sind, nach Israel zu fliehen, hinzurichten.

Der Delegierte der Europäischen Union erklärte, dass die EU alle Fälle von aussergerichtlichen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen auf das Schärfste verurteile, einschliesslich derer durch die russischen Streitkräfte in der Ukraine. Solche Handlungen stellten eine schwere Verletzung des Rechts auf Leben dar. Er erklärte, dass der Beitrag der gerichtsmedizinischen Todesermittlungssysteme zur Erreichung der Gerechtigkeit, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes des Lebens nicht hoch genug eingeschätzt werden könne und dass die internationalen Normen und Standards für gerichtsmedizinische Todesermittlungssysteme nach Ansicht der EU eindeutig seien.  Die Staaten hätten die Pflicht, die Ursache und die Art und Weise jedes potenziell unrechtmässigen Todes unverzüglich, unabhängig und transparent zu untersuchen, und zwar ohne jegliche Unterscheidung.

Der Vertreter Argentiniens sprach im Namen Brasiliens, Chiles, Costa Ricas, Ecuadors, Guatemalas, Mexikos, Panamas, Perus und Uruguays und bedankte sich für das Thema des Berichts des Sonderberichterstatters. Er wies darauf hin, dass es zentral sei, dass alle Menschenrechtsmechanismen sich mit der Notwendigkeit befassten, erschöpfende Untersuchungen jedes potenziell unrechtmässigen Todes durchzuführen und die Grundsätze des Minnesota-Protokolls einzuhalten. Der Delegierte betonte auch, wie wichtig es sei, die internationale Zusammenarbeit, einschliesslich der Süd-Süd-Zusammenarbeit, zu nutzen, die in Lateinamerika zu einer erheblichen Verbesserung der forensischen Untersuchungsmethoden geführt habe, wie im Bericht dargelegt werde. Er stimmte insbesondere der Empfehlung zu, dass alle am Untersuchungsprozess Beteiligten gendersensibel sein sollten.

Die Vertreterin der Ukraine sprach die summarische Hinrichtung unschuldiger ukrainischer Zivilisten an, die zu einer der symbolträchtigsten und tragischsten Manifestationen der Grausamkeit der anhaltenden russischen Aggression gegen die Ukraine wurde. Sie berichtete über einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, wie z.B. den Fall eines Zivilisten, der nach Zigaretten gefragt und hingerichtet wurde, weil er antwortete, er würde nicht rauchen. Die Vertreterin wies darauf hin, dass diese Exekutionen sowohl vom OHCHR als auch von der Untersuchungskommission bestätigt worden seien, russische Diplomaten jedoch weiterhin Lügen und Desinformationen verbreiteten und die Realität leugneten. Sie dankte dem Sonderberichterstatter für seine Aufmerksamkeit für die abscheulichen Verbrechen Russlands und zählte auf sein aktives Engagement, um die Rechenschaftspflicht sicherzustellen.

Der Vertreter Frankreichs betonte die Bedeutung forensischen Fachwissens im Kampf gegen die Straflosigkeit und teilte dem Menschenrechtsrat mit, dass Frankreich im April ein Team von Experten für Identifizierung und Beweissicherung in die Ukraine entsandt habe. Dieses Team von Tatort-Experten des Nationalen Kriminalforschungsinstituts der Gendarmerie ergreife konkrete Massnahmen, um sicherzustellen, dass die abscheulichen Verbrechen während der Gräueltaten nicht ungesühnt blieben. Der Vertreter bekräftigte Frankreichs politische, finanzielle und technische Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof. Er unterstützte auch das Engagement des UNDC und des OHCHR für die genderspezifische Dimension bei forensischen Untersuchungen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, eine Unterstützung, die auch von den Vertretern Chiles, der Philippinen und der USA geteilt wurde.

Der Vertreter von Sierra Leone unterstrich die Bedeutung des Rechts auf Leben und teilte dem Menschenrechtsrat mit, dass der Präsident von Sierra Leone im Jahr 2021 sein Versprechen eingelöst habe und die Todesstrafe formell abgeschafft worden sei. Er betonte auch, die Notwendigkeit von technischer Unterstützung und Massnahmen zum Aufbau von Kapazitäten, um die Infrastruktur der Strafrechtssysteme in Entwicklungsländern wie Sierra Leone zu stärken. Dieser Punkt wurde von der Vertreterin Malawis bekräftigt.  Sie wies erneut darauf hin, dass der globale Süden keinen Zugang zu wissenschaftlichen und medizinischen Technologien habe und unterstützte daher die Empfehlung, dass die Geber in Betracht ziehen sollten, Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei der Ausbildung und Ausrüstung zu unterstützen. Die Vertreterin Malaysias berichtete ausserdem, dass Malaysia im Juni 2022 seine Entscheidung bekannt gegeben habe, die obligatorische Todesstrafe abzuschaffen.

Nach den Erklärungen der Staatsdelegationen wurde der Interaktive Dialog für Mitglieder der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eröffnet. Viele von ihnen stimmten mit dem Sonderberichterstatter darin überein, dass die rechtsmedizinische Untersuchung von Todesfällen im Kampf gegen die Straflosigkeit von aussergerichtlichen, summarischen oder willkürlichen Hinrichtungen von entscheidender Bedeutung sei. Die meisten Erklärungen konzentrierten sich auf spezifische Fälle von Verletzungen des Rechts auf Leben und verurteilten die Länder Aserbaidschan, Brasilien, Saudi-Arabien, die Philippinen, die USA, Bangladesch, Mexiko, Myanmar und Kenia.

In seinen abschliessenden Bemerkungen fasste der Sonderberichterstatter die zahlreichen Stellungnahmen von Vertretern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft zu einer Frage zusammen: Wie kann die Arbeit der rechtsmedizinischen Dienste verbessert werden, um zu gewährleisten, dass die Untersuchung eines potenziell unrechtmässigen Todes den Anforderungen des Völkerrechts entspricht? Die Antwort, so schlug er vor, liegt in der effektiven Umsetzung der Standards, die von den Vorgängern seines Mandats festgelegt wurden. Daher begrüsste Herr Tidball-Binz den Aufruf, eine bessere Ausbildung zur Umsetzung des Minnesota-Protokolls zu fördern und eine Anlaufstelle oder forensische Einheit innerhalb des OHCHR einzurichten, die zur Unterstützung von Untersuchungen und technischer Hilfe genutzt werden könnte. Er freute sich, dass sein Mandat bereit und in der Lage wäre, bei all dem zu helfen.

Standpunkt des Geneva International Centre for Justice (GICJ)

Geneva International Centre for Justice (GICJ) dankt dem Sonderberichterstatter für seinen Bericht und unterstützt seine Bemühungen, Mindeststandards und best practices für ein weltweites System zur gerichtsmedizinischen Untersuchung von Todesfällen festzulegen. GICJ istzutiefst beunruhigt über die abscheulichen Praktiken der aussergerichtlichen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen. Der Kampf gegen die Straflosigkeit solcher Verstösse und der Schutz des Rechts auf Leben für alle Menschen hat höchste Priorität für die Menschenrechtsverteidigung.  Der Ausgangspunkt, um gegen aussergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen vorzugehen, sind rasche, gründliche, wirksame, unabhängige, unparteiische und transparente Untersuchungen von möglicherweise unrechtmässigen Todesfällen, wie im Minnesota-Protokoll vorgeschrieben. Wir unterstützen daher die Anregung des Sonderberichterstatters zur Anerkennung und Einhaltung des Minnesota-Protokolls und fordern die Staaten auf, den Empfehlungen in seinem jüngsten Bericht zu folgen.

Read in English

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