GICJ verurteilt alle Formen von Gewalt gegen Kinder unter allen Umständen

Von Ardya Syafhana / GICJ

Übersetzt von Viktoria Kropp / GICJ

Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten sind enorm; die internationale Gemeinschaft ist seit Jahrzehnten Zeuge der tödlichen Folgen für alle Beteiligten, insbesondere für Kinder. Ihre Vulnerabilität macht sie zur Zielscheibe von Misshandlungen und Gräueltaten; ihre Familien, ihre Häuser und ihr Leben wurden und werden ihnen genommen. “Entsetzt" über die Zahl der palästinensischen und libanesischen Kinder, die von Israel ermordet wurden, beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) am 19. August 1982 den 4. Juni zum Internationalen Tag der unschuldigen Kinder die Opfer von Aggression wurden. Dieser Tag soll die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die ständige Wahrung und den Schutz der Rechte der Kinder lenken und an das psychische und physische Leid erinnern, das sie während des Konflikts erlitten haben.

Trotz der weltweiten Empörung über die Ermordung unschuldiger palästinensischer Kinder durch Israel wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Massaker von Sabra und Schatila fand zwischen dem 16. und 18. September 1982 statt. Das Blutbad in den beiden palästinensischen Flüchtlingslagern südwestlich von Beirut wurde von einer libanesischen Miliz unter israelischer Kontrolle verübt. Auf dem Höhepunkt des Angriffs zählte die Miliz etwa 400 Mitglieder. Sie war verantwortlich für Hinrichtungen im Schnellverfahren, Zerstörung von Häusern und Plünderung von Privateigentum wie Geld und Schmuck. Leichen lagen auf den Strassen, wurden unter den Trümmern zurückgelassen oder in Massengräbern verscharrt. Zeugen sahen, wie viele Menschen in Lastwagen verfrachtet und aus den Lagern an unbekannte Orte gefahren wurden. Niemand weiss, was mit ihnen geschehen ist. Sie sind die "Vermissten" des Massakers von Sabra und Shatila. Offiziellen Angaben zufolge belief sich die Zahl der Todesopfer auf 3‘500.

Hintergrund

Entsetzt über das Massaker von Sabra und Schatila und der Zurkenntnisnahme der dringend benötigten humanitären Hilfe für palästinensische Opfer, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die siebte Sondersitzung zu diesem Thema abgehalten. Neben der Frage der israelischen Gewaltanwendung erörterte das Gremium die Besorgnis über die alarmierenden Opferzahlen an palästinensischen und libanesischen Kindern, was dazu führte, dass der 4. Juni als Internationalen Tag der unschuldigen Kinder die Opfer von Aggression wurden ins Leben gerufen wurde. Das Datum wurde durch den Beginn des israelischen Massakers im Libanon bestimmt.

Die Resolution A/ES-7/L.7 der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA Res A/ES-7/L.7) wurde in namentlicher Abstimmung mit 102 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und 34 Enthaltungen angenommen. In der Resolution wurde Israel für seinen Einmarsch in den Libanon verurteilt, welcher der palästinensischen Zivilbevölkerung schweren Schaden zugefügt hat. Die Länder, die sich aus der Abstimmung enthielten, wie Schweden, Kolumbien und Kanada, betonten die selektive Vorgehensweise, während die übrigen (Norwegen, Irland und die Europäische Gemeinschaft) der Meinung waren, dass humanitäre Hilfe und Gelder angemessener wären. Diejenigen, die die Resolution unterstützten, lobten die Aufgabe des Kinderschutzes und drückten ihr Mitgefühl für alle Opfer aus. 

Ungeachtet der unterschiedlichen Auffassungen der Staaten hat die Resolution A/ES-7/L.7 der UN-Generalversammlung in den folgenden Jahren weitere kollektive Massnahmen zum Schutz von Kindern während und ausserhalb von bewaffneten Konflikten beschlossen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen setzte das Vermächtnis der Resolution A/ES-7/L.7 fort, indem sie 1997 im Anschluss an den Graca-Machel-Bericht die Resolution 51/77 verabschiedete, in der sie die Ernennung eines Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte durch den Generalsekretär empfahl, und 2008 die Resolution 62/141 mit der gleichen Aufforderung zur Ernennung eines Sonderbeauftragten für Gewalt gegen Kinder.

Kinder und bewaffnete Konflikte

Auch nach vier Jahrzehnten israelischer Aggression sind palästinensische Kinder immer noch täglich Zielscheibe von Bedrohung und Gewalt durch die Besatzungsmacht. Im Zeitraum 2021-2022 litten mehr als tausend palästinensische Kinder unter dem eingeschränkten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, und Hunderte werden möglicherweise aus ihren Häusern vertrieben. Die israelische Behörde verhängte auch "Sicherheits"-Vergehen, um etwa 200 palästinensische Kinder willkürlich zu inhaftieren, hauptsächlich wegen Steinewerfens. Diese Behandlung steht in keinem Vergleich zu der Gesamtopferzahl im Mai 2021, in dem das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten die höchste Zahl palästinensischer Todesopfer an einem einzigen Tag seit 2005 meldete.

Bis zum heutigen Tag haben die israelischen Streitkräfte wiederholt gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstossen, indem sie scharfe Munition einsetzten, was zu einer Reihe von rechtswidrigen Tötungen und Verletzungen von Zivilisten, einschliesslich Kindern, führte. Seit Anfang 2022 wurden 57 Palästinenser im besetzten Westjordanland von israelischen Streitkräften getötet. Erst am 25. Mai 2022 wurde Ghaith Rafiq Yamin, ein 16-jähriger palästinensischer Junge, von den israelischen Besatzungstruppen bei einer militärischen Razzia in der Nähe des Josefsgrabs in der besetzten Stadt Nablus im Westjordanland angeschossen und getötet. Nach der Nachricht von seinem Tod versammelten sich Klassenkameraden im Krankenhaus, um sich von ihrem Freund zu verabschieden.

Obwohl nach internationalem Recht Zivilisten unter keinen Umständen gezielt angegriffen werden dürfen, zeigen die Untersuchungen und die gesammelten Beweise, dass die israelischen Streitkräfte bei den meisten Tötungen tödliche Kräfte eingesetzt haben, was einer aussergerichtlichen und vorsätzlichen Tötung gleichkommt - solche Tötungen sind Kriegsverbrechen.

Kinder haben nach dem humanitären Völkerrecht (HVR) Anspruch auf allgemeinen Schutz, ebenso wie Zivilisten in internationalen bewaffneten Konflikten (Vierte Genfer Konvention) und Nichtteilnehmer an Feindseligkeiten in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten (Gemeinsamer Artikel 3 der vier Genfer Konventionen). Das humanitäre Völkerrecht regelt auch den besonderen Schutz von Kindern, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf das Recht auf Pflege und Unterstützung, die Einheit der Familie, Bildung und persönliche Rechte. Im humanitären Völkerrecht wird die Altersgrenze unterschiedlich definiert, doch hat sich das Alter von fünfzehn Jahren als allgemeiner Standard durchgesetzt. Den Konfliktparteien ist es untersagt, Personen unter fünfzehn Jahren zu rekrutieren, und gleichzeitig sind sie verpflichtet, Kindern unter fünfzehn Jahren, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, besonderen Schutz nach dem humanitären Völkerrecht zu gewähren. 

Palästinensische Kinder sollten sicher zur Schule gehen können, ohne Gewalt durch israelische Streitkräfte befürchten zu müssen. Stattdessen sind israelische Streitkräfte regelmässig in oder in der Nähe von Schulen im Einsatz, greifen palästinensische Kinder an und gefährden deren Bildung.

Seit 1996 hat das Büro des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Kinder in bewaffneten Konflikten den Auftrag, den Schutz von Kindern, die von Kriegen betroffen sind, durch Sensibilisierung, Förderung einschlägiger Informationen und Aufbau einer internationalen Zusammenarbeit zu verbessern. Im Jahr 1999 nahm der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) eine Resolution an, um das Thema auf seine Tagesordnung zu setzen und die sechs schwerwiegenden Verletzungen von Kindern in Kriegszeiten zu benennen, d. h. Tötung und Verstümmelung, Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldaten, sexuelle Gewalt, Entführung, Angriffe auf Schulen oder Krankenhäuser und Verweigerung des Zugangs für humanitäre Hilfe. Der Sonderbeauftragte hat 19 Aktionspläne in verschiedenen Konfliktländern wie Afghanistan oder Syrien und mehrere Kampagnen oder Bewegungen durchgeführt, z. B. die Globale Koalition für die Reintegration von Kindersoldaten und ACT to Protect. Am 15. und 16. März 2022 hielt der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) die neunundvierzigste Sitzung für einen interaktiven Dialog mit dem Sonderbeauftragten ab, in dessen Mittelpunkt der Jahresbericht für Dezember 2020-2021 stand. Der Sonderbeauftragte äusserte seine Besorgnis über die Herausforderungen beim Schutz von Kindern in den Konfliktgebieten in den letzten Jahren aufgrund der Covid-19-Pandemie und der anhaltend hohen Zahl von schweren Verstössen gegen internationales Recht. In seinem Bericht wies der Sonderbeauftragte darauf hin, dass die Taliban-Regierung seit August 2021 keine Kinderschutzprogramme mehr durchführt, während die afghanische Nationalarmee Kindersoldaten rekrutiert. Im interaktiven Dialog zwischen den Mitgliedern des UNHRC und dem Sonderbeauftragten sprachen die Redner die dringende Notwendigkeit kollektiver Massnahmen für Kinder an, die Opfer der russischen Aggression in der Ukraine sind. Die Redner fragten den Sonderbeauftragten nach sofortigen Massnahmen, um den ukrainischen Kindern zu helfen, die trotz der Bedrohung durch den Angriff auch während der Wintersaison im Land nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dingen haben. Bis Ende Mai 2022 hat das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen den Tod von 93 Jungen, 100 Mädchen und 69 Kindern und die Verletzung von 112 Mädchen und 137 Jungen sowie 166 Kindern unter der ukrainischen Zivilbevölkerung festgestellt.

Gewalt gegen Kinder

Zufolge der Zahlen der Ziele für nachhaltige Entwicklung (UN SDG) erleben mindestens 50 % der Kinder weltweit jedes Jahr Gewalt.  Alle sieben Minuten wird irgendwo auf der Welt ein Kind durch Gewalt getötet. In Anbetracht dessen ist die Existenz des Übereinkommens über die Rechte des Kindes und anderer internationaler Menschenrechtsinstrumente unerlässlich, um die Sicherheit und das Wohlergehen aller Kinder zu gewährleisten. Die Konvention verpflichtet die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Vertragsstaaten, die Verwirklichung der Grundrechte der Kinder und ihren Schutz vor drohender Gewalt zu gewährleisten. Obwohl das humanitäre Völkerrecht einen Kindersoldaten als eine Person definiert, die über fünfzehn Jahre alt ist und unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt, setzt das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (OPAC) das Mindestalter auf 18 Jahre. 

Der Einmarsch der USA in den Irak im Jahr 2003 stürzte das Land in einen Zustand der Anarchie, weit verbreiteter Unsicherheit und Korruption auf vielen Ebenen. Irakischen Kinder waren besonders gefährdet, und das Trauma, das dem Irak auferlegt wurde, zerstörte jede Perspektive für seine Kinder. Noch heute sind Minderjährige in zunehmendem Masse aussergerichtlichen Tötungen, sexuellem Missbrauch und der Rekrutierung für von der Regierung unterstützte Milizen ausgesetzt. Die internationale Gemeinschaft hat die Invasion häufig verurteilt, doch die Verantwortlichen und die Täter wurden mit Straffreiheit verschont.Mehr als zwei Millionen irakische Zivilisten wurden während der Invasion und der Besatzung getötet, darunter unzählige unschuldige Kinder. Zusätzlich zu den Zerstörungen und dem menschlichen Tribut sind etwa vier Millionen irakische Kinder zu Waisen geworden, während mehr als 550.000 irakische Kinder an den Folgen der US-Sanktionen gestorben sind.

Der Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Kinder wurde erstmals 2009 ernannt, um sich für die Prävention und Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Kinder einzusetzen. Am 15. März 2022 stellte der Sonderbeauftragte seinen Bericht für den interaktiven Dialog auf der 49. Sitzung des UNHRC vor. Der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte wies auf die zunehmende Dringlichkeit hin, die Gewalt gegen Kinder angesichts der Auswirkungen von Konflikten, Klimawandel und Naturkatastrophen zu beenden. Der Sonderbeauftragte arbeitet an verschiedenen Aktionsplänen, die Studien, globale Erhebungen oder Expertenkonsultationen mit Menschenrechtsgremien und -mechanismen der Vereinten Nationen, nationalen Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft umfassen. Darüber hinaus fördert er Kampagnen, unter anderem zur Ratifizierung und Umsetzung internationaler Menschenrechtsinstrumente für Kinder wie OPAC und Protokolle zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes. In diesen Tagen steht der Aktionsplan des Beauftragten im Einklang mit den Vereinten Nationen in der UN SDG 2030 Agenda Ziele 16 Ziel 2, nämlich das Ziel, alle Formen von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung von Kindern zu beenden.

Geneva International Centre for Justice (GICJ) verurteilt jede Form von Gewalt gegen Kinder unter allen Umständen, sei es während oder nach einem bewaffneten Konflikt. Als Resultat der israelischen Aggression von 1982 wird der vierte Juni die internationale Gemeinschaft immer an ihre Verpflichtung gegenüber den schwächsten Mitgliedern der Menschheit, den Kindern, erinnern. Am vierzigsten Jahrestag, muss leider immer noch festgehalten werden, dass Akteure bewaffneter Konflikte auf der ganzen Welt Kinder als Angriffsziel sehen oder, schlimmer noch, auf dem  Schlachtfeld einsetzen. Das Protokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes und die Genfer Konventionen verbieten die Rekrutierung von Kindersoldaten ausdrücklich; die rechtliche Diskrepanz zwischen diesen beiden Bestimmungen soll den Kindern zugute kommen.

Alle Akteure müssen bedenken, wie wichtig es ist, die überlebenden Kinder in Kriegszeiten durch eine angemessene Vermittlung und Ausbildung zu schützen, da andernfalls das anhaltende physische und psychische Leiden ihre Zukunft gefährdet. Diese Mission steht im Einklang mit der null-Toleranz gegenüber Gewalt gegen Kinder ausserhalb bewaffneter Konflikte und der fortschreitenden Entwicklung ihrer Lebensstandards, d.h. Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt. GICJ würdigt das Engagement der an dieser Bewegung beteiligten Vertreter, vor allem der von den Vereinten Nationen beauftragten Hauptakteure. GICJ fordert die sofortige Ratifizierung der Instrumente des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte zum Schutz von Kindern durch die verbleibenden Staaten sowie die weitere Umsetzung durch die Vertragsstaaten.

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