Tagung des Menschenrechtsrates

Februar - 1. April 2022

ITEM 2 - Interaktiver Dialog über den Bericht des Hohen Kommissars über die Menschenrechtslage in Nicaragua

7 März 2022

Von Aimara Pujadas / GICJ

Übersetzt von Elina Siegfried

Überblick

Die 13. Sitzung der 49. Tagung des Menschenrechtsrates vom 7. März umfasste einen interaktiven Dialog mit der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, über die Menschenrechtslage in Nicaragua. 

Der Bericht legte dar, dass die an die nicaraguanische Regierung gerichteten Empfehlungen der letzten drei Jahre nicht umgesetzt wurden, was zu einer Verschlechterung der Menschenrechtslage, zur Verfolgung politischer Gegner sowie einem Klima von Gewalt und mangelnder Rechenschaftspflicht für Verantwortliche unrechtmässiger Handlungen gegen Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Geschäftsleute, Wahlkandidaten und Gefangene, die ohne ordentliches Verfahren festgehalten werden. Die Regierung Nicaraguas wies auf die parteiische und ungleiche Bewertung der aktuellen Situation im Land sowie auf die Voreingenommenheit der für den Bericht verwendeten Informationsquellen hin. Gleichzeitig verurteilte sie die Manipulation und externe Einmischung, welcher der Staat ausgesetzt ist und die darauf abzielen, die Regierung zu diskreditieren und zu destabilisieren, ohne dabei die Fortschritte im Bereich der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen sowie bürgerlichen und politischen Menschenrechte anzuerkennen, die trotz der gegen das Land verhängten einseitigen und missbräuchlichen Sanktionen erzielt wurden.

Hintergrund

Im März 2021 verabschiedete der Menschenrechtsrat die Resolution 46/2 "Förderung und Schutz der Menschenrechte in Nicaragua," in welcher er betonte, wie wichtig es ist, dass der Staat Massnahmen zur Förderung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, der Rechte der indigenen Völker, des Rechts auf Bildung, Arbeit und Gesundheit, der Verstärkung im Kampf gegen die Straflosigkeit, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz und des Menschenrechtsbeauftragten sowie der Zusammenarbeit des Staates mit internationalen Mechanismen ergreift.

Die Hohe Kommissarin wurde gemäss dieser Resolution aufgefordert, die Menschenrechtslage in Nicaragua im Zusammenhang mit dem Wahlprozess genauestens zu überwachen und dem Menschenrechtsrat vor Ende 2021 eine mündliche Zwischenbilanz mit Empfehlungen vorzulegen, auf welche ein interaktiver Dialog folgen sollte.

Unter Einhaltung der obgenannten Resolution präsentierte die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Frau Bachelet, am 7. März eine mündliche Bilanz der Menschenrechtslage in Nicaragua für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2021.

Podiumsdiskussion

In ihrem Bericht äusserte die Hohe Kommissarin ihr Bedauern, dass die Empfehlungen an die nicaraguanische Regierung seit 2018 nicht umgesetzt wurden. Zwar anerkannte sie die Bemühungen der Regierung, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen, insbesondere die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Förderung von Ausgaben für Gesundheit und Bildung; gleichzeitig betonte Bachelet, dass die Einhaltung der SDGs auch die Schaffung friedlicher, gerechter, toleranter, offener und integrativer Gesellschaften mit einschliesse, welche einen gleichberechtigten Zugang zur Justiz bieten und auf der Achtung von Menschenrechten beruhen.

Gemäss den von dem Büro der Hohen Kommissarin ermittelten Daten wurden mindestens dreiundvierzig Personen im Zusammenhang mit den Wahlen im Jahr 2021 festgenommen, die durch Einschränkung der bürgerlichen und politischen Rechte, einschliesslich der Rechte auf freie Meinungsäusserung, Vereinigungs-mund Versammlungsfreiheit und politische Unabhängigkeit gekennzeichnet waren. Weitere zwanzig Frauen und sechs Männer wurden nachweislich Opfer von Schikanen und mindestens vier Menschenrechtsverteidiger wurden willkürlich festgenommen. Frau Bachelet bat die Regierung, dringende Massnahmen für die Freilassung dieser Gefangenen zu ergreifen und für ihre physische und psychische Integrität zu sorgen, einschliesslich dem Büro der Hohen Kommissarin Zugang zu den Gefangenen zu gewähren.

In diesem Sinne erinnerte sie an die Sanktionen, Angriffe und Schikanen gegen politische Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger. Im Hinblick auf die für November 2022 angesetzten Kommunalwahlen forderte die Hohe Kommissarin eindringlich dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, um einen glaubwürdigen, gerechten und transparenten Wahlprozess wiederherzustellen wie im Bericht empfohlen und um sicherzustellen, dass alle Nicaraguaner ihre bürgerlichen und politischen Rechte frei und uneingeschränkt ausüben können, unabhängig ihrer politischen Zugehörigkeit. 

Darüber hinaus hielt Frau Bachelet den Staat an, die in 2018 erlassenen Gesetze aufzuheben, welche die bürgerlichen und politischen Rechte in unzulässiger Weise einschränken, insbesondere das Sondergesetz über Cyber-Delikte.  

Wendy Carolina Morales, Generalstaatsanwältin von Nicaragua, sprach im Namen des Ministeriums der Versöhnung und nationalen Einheit Nicaraguas und äusserte, dass internationale Organisationen und Gremien wie der UN-Menschenrechtsrat die Ausübung der Menschenrechte in den Ländern in diskriminierender Weise bewerteten, wobei sie nachsichtig und tolerant seien, wenn es um die barbarischen Akte der Grossmächte ginge und gleichzeitig irrational gegenüber Entwicklungsländern wie Nicaragua. Die Generalstaatsanwältin bekräftigte, dass diese ungleiche Bewertung zu einer Manipulation und Instrumentalisierung der Menschenrechte führe. Sie beanstandete zudem die im Bericht verwendeten Informationsquellen, welche nach Ansicht der Regierung parteiisch seien, da sie die Stimmen einiger Sektoren mit ausgeprägten politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Interessen wiederspiegelten.

Morales zufolge bestand das Ziel des Berichts darin, die nationalen Behörden und Institutionen sowie die Rechtsordnung des Staates auf der Grundlage falscher und voreingenommener Informationen zu diskreditieren und zu verleumden, mit dem Bestreben, sich in die Angelegenheiten des Staates einzumischen, was seine Souveränität und Unabhängigkeit missachtet. Die nicaraguanische Repräsentantin merkte an, dass der Staat kontinuierlich unter einer inquisitorischen Prüfung gestanden hätte, sich jedoch weiterhin für die Verteidigung der grundlegenden Menschenrechte aller Nicaraguaner einsetzen werde. Sie verlangte die Beendigung aller Sanktionen und verurteilte die Ansätze der Länder und Institutionen, die versuchten, die nicaraguanische Regierung zu beeinflussen und zu beherrschen. 

Interaktiver Dialog

In der darauffolgenden Debatte machte die Europäische Union auf die komplexe Menschenrechtslage des Landes aufmerksam, welche durch willkürliche Verhaftungen von politischen Gegnern und Wahlkandidaten, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern sowie durch politisch motivierte Annullierung der Rechtspersönlichkeit von Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft geprägt ist. Mitglieder der Delegation forderten die Regierung dazu auf, einen nationalen Diskurs einzuleiten, welcher alle Standpunkte miteinbezieht und eine friedliche und demokratische Lösung für die Politik- und Menschenrechtskrise gewährleistet. 

Die Lösung dieser Krise sollte auf Menschenrechtsnormen und -standards basieren und ein aufrichtiger und integrativer nationaler Dialog sollte stattfinden, um die Straffreiheit zu bekämpfen, die Demokratie wiederherzustellen und die Menschenrechte zu wahren. Die Europäische Union verurteilte die Repressalien gegen politische Gegner, Medien, Zivilgesellschaften, Menschenrechtsverteidiger, afrikanische Nachkommen, indigene Völker und die LGTBI Gemeinschaft und forderte die Behörden auf, alle politischen Gefangenen bedingungslos und unverzüglich freizulassen und die sichere Rückkehr aller im Exil lebenden Personen zu ermöglichen. Die Repräsentantin ersuchte die Hohe Kommissarin zudem, die Haftbedingungen von Personen, denen im Zusammenhang mit den Ereignissen im April 2018 die Freiheit entzogen wurde, sowie die Verletzung der Rechte auf ein ordnungsgemässes und faires Verfahren für die seit Mai 2021 willkürlich Inhaftierten näher auszuführen. 

Darauffolgend brachte Schweden im Namen der nördlichen baltischen Länder ihre Besorgnis über die von Frau Bachelet aufgezeigten systematischen Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua zum Ausdruck und verwies auf die Wahlen im November 2021, die ihrer Ansicht nach unter Missachtung der demokratischen Grundsätze stattfanden, da der nicaraguanischen Bevölkerung das Recht, ihre Vertreter frei zu wählen und in glaubwürdigen, umfassenden und transparenten Wahlen abzustimmen, vorenthalten wurde. Die schwedische Repräsentantin erkundigte sich bei der Hohen Kommissarin, welche Massnahmen ergriffen werden sollten, um Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua zu fördern und bekräftigte den Aufruf für Kooperation mit internationalen Menschenrechtsmechanismen, insbesondere dem OHCHR.

Kanada, im Namen der Kerngruppe zu Nicaragua (Costa Rica, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Paraguay und Peru) äusserte Besorgnis über die erheblichen Verschlimmerungen der Menschenrechte in Nicaragua seit vergangenem März und forderte die Behörden auf, alle willkürlich inhaftierten Personen unverzüglich und bedingungslos  freizulassen sowie alle notwendigen Reformen zu verabschieden.

Venezuela, Kuba, Syrien, Russland und Eritrea bedauerten die im vorgelegten Bericht verzerrten Informationen gegen Nicaragua, wessen Regierung sein Engagement für die Menschenrechte trotz der rechtswidrigen einseitigen Zwangsmassnahmen seitens der Vereinigten Staaten sowie der ständigen Drohungen und Einmischungen von aussen, der aggressiven Rhetorik und der Fehlinformationen der Medien bekundete. Die Staatenrepräsentanten verurteilten die Manipulation des Menschenrechtsdiskurses zu politischen Zwecken und die vorangetriebene Interventionspolitik gegen die Souveränität, Selbstbestimmung und verfassungsrechtliche Ordnung Nicaraguas. Sie lehnten politisch motivierte Aktivitäten innerhalb des Menschenrechtsrates ab und plädierten für einen konstruktiven Diskurs und Kooperation als Wegweiser für Menschenrechtsmechanismen und -institutionen.  

NGO-Repräsentanten betonten die Notwendigkeit der Einhaltung eines ordnungsgemässen Verfahrens und bedauerten die mangelnde Zusammenarbeit Nicaraguas mit internationalen Menschenrechtsmechanismen und forderten die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem OHCHR und dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem. 

Position des Geneva International Centre for Justice (GICJ)

Geneva International Centre for Justice (GICJ) begrüsst die mündlichen Ausführungen der Hohen Kommissarin für Menschenrechte zur Menschenrechtslage in Nicaragua. Die vermeintlichen Verletzungen, über die berichtet wurde, erfordern eine umfassende Überprüfung über die Einhaltung  der Menschenrechtsvorschriften und internationalen Standards; daher fordern wir die nicaraguanische Regierung auf, die weitere Zusammenarbeit mit regionalen und internationalen Menschenrechtsmechanismen zu begünstigen und zu fördern, um sicherzustellen, dass die besten Praktiken angewendet werden. 

Wir bitten die Regierung zudem, sinnvolle Wahlrechtsreformen zu verabschieden, willkürliche Inhaftierungen unverzüglich zu beenden, Freiheiten für Zivilgesellschaften und politische Gegner zu gewährleisten, Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit Protesten zu untersuchen und zu verfolgen sowie die Gesetze, die die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit im Land beträchtlich einschränken, zu ändern. GICJ ermutigt die Behörden, einen aufrichtigen und integrativen nationalen Dialog zu fördern, der zur Versöhnung führt, eine uneingeschränkte Beteiligung von Vertretern aller politischen und ideologischen Richtungen gewährleistet und mit festem Willen die politische, wirtschaftliche und soziale Demokratie im Lande garantiert.

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