Ordentliche Tagung des UN-Menschenrechtsrats

Februar - 1. April 2022

Dringlichkeitsdebatte über die “Menschenrechtssituation in der Ukraine aufgrund der russischen Aggression”

3-4 März 2022

Von Sanzhar Aikulov / GICJ

Übersetzt von Gian Heimann / GICJ

Der UN-Menschenrechtsrat hielt am 3. und 4. März 2022 eine Dringlichkeitsdebatte über die aktuelle Situation in der Ukraine ab. Die Tagung erfolgte auf Antrag der Ukraine vom 25. Februar betreffend die russische Invasion und die daraus resultierenden  Menschenrechtsverletzungen durch das russische Militär. Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNCHR), eröffnete die Dringlichkeitsdebatte, indem sie ihre Besorgnis über die Auswirkungen der russischen Aggression auf die Menschenrechte der ukrainischen Bevölkerung bekundete . Die Hohe Kommissarin machte auf die wachsende Anzahl verletzter und getöteter Zivilisten aufgrund des Konfliktes aufmerksam und betonte, dass die tatsächliche Anzahl wahrscheinlich deutlich höher sei. Weiter sei von einer Million Binnenflüchtender sowie über einer Million Flüchtender auszugehen, die sich im nahegelegenen Umland in Sicherheit brächten. Die Abgeordneten Frankreichs, der Niederlanden, des Vereinten Königreichs, der USA sowie zahlreicher weiterer Staaten brachten ihre Unterstützung und Solidarität gegenüber der Ukraine zum Ausdruck. Der Sprecher Russlands verteidigte das Vorgehen seines Landes und wies die Schuld den westlichen Ländern zu, die den Konflikt zur Eskalation gebracht hätten. Demgegenüber forderte der ukrainische Abgeordnete zu allen nötigen Massnahmen auf, um die Militärinvasion zu stoppen und bezichtigte die Russische Föderation, die fundamentalsten Menschenrechte der ukrainischen Bevölkerung zu verletzen. Mehrere Menschenrechts-institutionen und Nichtregierungsorganisationen beteuerten ihre Unterstützung für die Ukraine und drückten ihre Besorgnis für die Zivilbevölkerung (auf dem Boden) aus. Die Dringlichkeitsdebatte führte zur Adoption der Resolution 49/1, mit 32 Stimmen dafür und 2 dagegen bei 13 Enthaltungen.

Hintergrund

Am 24. Februar kündigte Präsident Putin eine "Sonderoperation" auf dem Gebiet der Ukraine an. Nach seiner Ankündigung startete das russische Militär eine massive Invasion im Norden, Osten und Westen der Ukraine. Kurz darauf meldeten Journalisten Explosionen in den Städten Kiew, Charkiw, Odessa und Kramatorsk. Aufgrund der Angriffe auf die Städte waren die Einwohner gezwungen, sich in Raketenabwehrbunkern und Untergrundstationen zu verstecken. Das russische Verteidigungsministerium gab an, dass die Angriffe speziell auf ukrainische Militärstützpunkte abzielten. Es wurden jedoch auch Angriffe auf zivile Gebäude dokumentiert, was einen klaren Verstoss gegen dashumanitäre Völkerrechts darstellt. Seit Beginn des Konflikts wurden 752 Zivilisten, darunter mehrere Kinder, durch Beschuss getötet. Viele waren gezwungen, in den Westen des Landes zu fliehen, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Rumänien, Moldawien und Polen boten den Flüchtenden Asyl an. Die russische Militäroperation wurde von der internationalen Gemeinschaft auf das Schärfste verurteilt. Am 2. März stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen einer Resolution zu, in der Russland aufgefordert wird, "unverzüglich, vollständig und bedingungslos alle seine militärischen Kräfte aus dem Gebiet der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen abzuziehen". Unter Berücksichtigung aller Umstände beantragte die Ukraine, dass der Menschenrechtsrat Massnahmen ergreift, um die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. 

Podiumsdiskussionen

Eröffnungsreden

Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNCHR), erklärte, dass der militärische Angriff Russlands ein neues und gefährliches Kapitel in der Weltgeschichte aufgeschlagen und massive Auswirkungen auf die Menschenrechte von Millionen von Menschen in der Ukraine habe. Die Hohe Kommissarin ging auf die grossen Schäden ein, die durch die russischen Bombardierungen verursacht wurden. Städte wie Tscherkassow, Charkiw und Herson stünden unter heftigem militärischem Beschuss und hätten eine hohe Zahl von Opfern zu verzeichnen. Auch zahlreiche zivile Objekte, darunter Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten, seien erheblich beschädigt worden. Die lebenswichtige Infrastruktur sei stark beschädigt worden, so dass die Versorgung mit Strom und Wasser sowie der Zugang zum Gesundheitswesen unterbrochen worden sei. Frau Bachelet bestätigte, dass 752 zivile Opfer zu beklagen seien, darunter 15 Kinder. Mindestens 525 Menschen, darunter 28 Kinder, seien verletzt worden. Die Hohe Kommissarin brachte ihre Solidarität mit allen Menschen zum Ausdruck, die aufgrund der sinnlosen Zerstörung durch den Konflikt unter unerträglicher Angst, Schmerz und Not leiden.

Victor Madrigal-Borloz, Vorsitzender des Koordinierungskomitees für Sonderverfahren (CC), begrüsste die Entscheidung des Menschenrechtsrates, die Dringlichkeitsdebatte durchzuführen. Er betonte, dass die Förderung der Menschenrechte von der Einhaltung grundlegender Regeln des Völkerrechts abhänge. Er fügte hinzu, dass die von Russland ausgeübte Gewalt in eklatanter Weise gegen das Völkerrecht verstosseund den Geist und das Ziel der Charta im Kern angreife. 

Der Ständige Vertreter der Russischen Föderation beim Büro der Vereinten Nationen in Genf, Gennady Gatilov, beschuldigte die Ukraine, den russischsprachigen Teil des Landes zu dezimieren, und verglich ihre Regierungsführung mit der von Nazi-Deutschland. Gatilow warf den westlichen Ländern und dem OHCHR vor, das Vorgehen Russlands zu verurteilen, und kritisierte die EU für die Ausfuhr von Militärwaffen in die Ukraine. Ausserdem warf er den USA und den europäischen Ländern vor, bei ihren Einsätzen in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien massenhaft Zivilisten getötet zu haben. 

Emine Dzhaparova, stellvertretende Aussenministerin der Ukraine, teilte mit, dass sie nach der Übermittlung des Antrags auf eine Dringlichkeitsdebatte gezwungen gewesen sei, in ihrem Keller Schutz zu suchen, da Sirenen vor einem möglichen Angriff in ihrer Gegend gewarnt hätten. Sie wies den Menschenrechtsrat darauf hin, dass die Zivilbevölkerung in Kiew seit Beginn der Feindseligkeiten gezwungen seien, unsichere und instabile Bedingungen zu ertragen. Frau Dzhaparova betonte, dass der Rat zusammen gekommen sei, um über die existenzielle Bedrohung des Prinzips der Menschenrechte zu diskutieren, die durch die Verletzung des Völkerrechts durch die Russische Föderation verursacht werde. Darüber hinaus lenkte sie die Aufmerksamkeit auf die Mitgliedschaft Russlands im UN-Sicherheitsrat und sein generelles Versagen, die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten. Sie dankte dem Menschenrechtsrat für die objektive Beurteilung der Situation und forderte die UN-Generalversammlung, den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof auf, zur Beendigung der Gewalt beizutragen. 

Nationale Menschenrechtsinstitutionen (NMRI) und Nichtregierungsorganisationen (NGO)

Lyudmila Denisova, Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, behauptete, dass die russische Armee bei ihren Angriffen auch ukrainische Zivilisten angreife, und wies auf die steigende Zahl von Opfern seit Beginn des Konflikts hin. Sie betonte ausserdem, dass die internationale Gemeinschaft die Russische Föderation weiterhin für ihr Vorgehen bestrafen müsse. Redner verschiedener NGOs aus aller Welt verurteilten die militärische Intervention und forderten sofortige Massnahmen zur Beendigung des Krieges. Einige von ihnen forderten den Ausschluss der Russischen Föderation aus dem Menschenrechtsrat. 

Resolution 49/1

Wichtigster Punkt auf der Tagesordnung war die Verabschiedung der Resolution zur Lage der Menschenrechte infolge der russischen Aggression, welche die ukrainische Delegation dem Menschenrechtsrat zur Prüfung vorgelegt hatte. Die Delegation  betonte, das Ziel der Resolution bestehe darin, dass der Rat sein primäres Mandat ausübe und der Menschenrechtskrise in der Ukraine, die durch eine ungerechtfertigte und unprovozierte militärische Aggression der Russischen Föderation verursacht wurde, ein Ende setze. Die russische Delegation kritisierte daraufhin die internationale Gemeinschaft und behauptete, dass diese nicht richtig im Bild sei über die Angelegenheit. Der Delegierte argumentierte, die Resolution sei voreingenommen gegen Russland, da sie die von der Ukraine begangenen Menschenrechtsverletzungen, die seit 2014 in der Donbass-Region begangen worden seien, ignoriere. Er sagte, dass Kiew absichtlich Straftäter aus der Haft entlasse und ihnen Waffen aushändige. Der belarussische Delegierte Andrei Taranda unterstützte die Aussage seines russischen Amtskollegen. Er verurteilte die Anschuldigungen, wonach Weissrussland an dem Konflikt beteiligt sei. Es gebe keine weissrussischen Soldaten in der Ukraine und Weissrussland stelle neutrales Territorium für Verhandlungen zur Verfügung, äusserte Taranda abschliessend. Die Delegierten aus den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich stimmten für die Resolution, welche die Menschenrechtsverletzungen während des russischen Einmarsches in der Ukraine verurteilt und eine Untersuchungskommission einsetzt, um die begangenen Verstösse zu untersuchen. Die Resolution wurde anschliessend mit 32 Ja-Stimmen angenommen. 13 Länder enthielten sich der Stimme, nur Russland und Eritrea stimmten gegen die Resolution.  

Die Position des Geneva International Centre for Justice (GICJ)

Geneva International Centre for Justice (GICJ) verurteilt alle Verletzungen des internationalen Rechts und des humanitären Völkerrechts. GICJ unterstützt alle Bemühungen der Zivilgesellschaft, allen Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen. GICJ fordert Russland auf, seine militärische Aggression in der Ukraine einzustellen und friedliche Verhandlungen anzustreben. Wir fordern die internationale Gemeinschaft ausserdem auf, alle möglichen Massnahmen zu ergreifen, um den Krieg zu beenden, die Menschen in der Ukraine zu schützen und weiteres menschliches Leid zu verhindern. GICJ unterstützt die vom Menschenrechtsrat ergriffenen Massnahmen, um Russland für seine Handlungen in der Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen, einschliesslich der Verabschiedung der Resolution 49/1, die Russlands Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht verurteilt und eine unabhängige internationale Untersuchungskommission einsetzt, um die im Zusammenhang mit der russischen Aggression begangenen Menschenrechtsverletzungen gegen die Ukraine zu untersuchen. 

Read in English

Russia, Ukraine, Russian invasion, Human Rights Council, 49th HRC, Urgent Debate On Ukraine, Geneva4Justice, GICJ, Geneva International Centre For Justice, Justice

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